Gestern war ich auf dem „90. Geburtstag“ zweier guten Freunde - allerdings nicht auf einer Seniorenfeier, sondern in einem Vereinsheim mit vielen Menschen, lauter Musik und gutem Essen. Die beiden Geburtstagskinder - bei denen ich auch vor langer Zeit Trauzeuge war - haben ihren 40. und 50. Geburtstag zusammen gefeiert. Die Einladung kam vor einigen Monaten spontan, als ich zum eigentlichen Geburtstag gratuliert habe. Wir haben uns seit mehreren Jahren nicht gesehen, da die beiden ca. 250 Kilometer von uns entfernt wohnen - unsere Freundschaft beruht auf meinen alten Wohnort im Rhein-Main Gebiet, nämlich Rüsselsheim.
Rüsselsheim war für mich immer negativ belastet - wir wohnten vorher in Mainz-Finthen, wo ich in den Kindergarten und in die Grundschule gegangen bin, Als mein Vater uns dann verlassen hatte, ist meine Mutter mit mir nach Rüsselsheim gezogen - für mich keine schöne Erfahrung. Ich musste damals alle bis dahin gewachsenen Freundschaften und das gewohnte Umfeld hinter mir lassen und in eine fremde Stadt ziehen. Diese Kerbe sitzt bis heute.
Also war für mich damals schon klar: ich muss da weg! Das habe ich dann auch 2003 umgesetzt, indem ich zunächst nach Frankfurt gezogen bin. 2005 habe ich dann meine heutige Frau kennengelernt und bin 2006 dann von Frankfurt nach Hattingen in Nordrhein-Westfalen gezogen, wo ich bis heute wohne.
Warum erzähle ich das alles?
Seit ein paar Jahren fällt mir mehr und mehr auf, dass meine alte Heimat doch nicht so negativ war, wie ich mir sie aufgrund der emotionalen Prägung gemalt habe. Jedesmal wenn ich dort bin, kommen mir viele positive Erlebnisse in den Sinn und es setzt sich ein völlig anderes Puzzle meiner Geschichte zusammen. Und je mehr ich Kontakt mit alten Freunden dort bekomme, desto mehr wird diesem Puzzle wieder Leben eingehaucht. So auch gestern auf besagter Feier.
Außer den beiden Geburtstagskindern waren unter den unzähligen Gästen noch zwei alte Freunde aus dieser Zeit, mit denen ich nicht gerechnet habe und es war für mich (und ich glaube auch für die beiden) ein wirklich bewegendes Erlebnis. Wir haben uns seit über 15 Jahren nicht gesehen und die herzlichen Umarmungen sprachen für sich - und natürlich auch die Geschichten. Tausend alte Namen, die ich längst vergessen hatte, tauchten wieder auf und damit auch viele Bilder.
Mehr und mehr wird mir klar, dass diese Geschichte - die ich dort mit ganz vielen Leuten erlebt habe - ein ganz großer Teil meiner Geschichte ist und dass diese ab der Teeniezeit gewachsenen Freundschaften durch nichts zu ersetzen sind.
Klar habe ich in Hattingen über die letzten 18 Jahre auch viele Leute kennengelernt, mit denen ich auch befreundet bin. Aber diese Tiefe aus den bewegenden Erlebnissen, ist nicht nachzuholen. Und so wächst nach und nach ein völlig anderes Bild der damaligen Zeit und meine Verbundenheit zu diesem Ort.
Wie hieß es so schön in dem Zitat von Søren Kierkegaard:
„Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.''
Je mehr ich verstehe, desto mehr ändert sich auch mein eigenes Bild von mir. Manchmal habe ich das Gefühl ein völlig anderer Mensch zu werden, je mehr ich an meine Wurzeln zurückkehre. Mein Spiegelbild wird deutlich klarer.
Ich freue mich auf mehr - bleibt gesund und wach!
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